Lymphologischer
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rainer h. kraus

Kontraindikationen für die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE)

Was wirkt, kann auch Nebenwirkungen haben. Unter Umständen sogar gefährliche! Das gilt auch für die Manuelle Lymphdrainage (MLD) und die Kompressionstherapie, wenn gleichzeitig bestimmte Erkrankungen vorliegen. Dann müssen die einzelnen physikalischen Maßnahmen entweder an die individuelle Situation des Patienten angepasst oder sogar völlig unterlassen werden.

Wir möchten das an einem einfachen Beispiel demonstrieren, das jeder kennt, der MLD-Anwendungen erhält. Ganz typisch für eine erfolgreiche MLD ist der danach einsetzende Harndrang. Die MLD regt die Lymphbildung (= Aufnahme von Gewebswasser in das Lymphgefäßsystem) und den Lymphtransport an: Wasser wird aus dem Ödem entfernt und über das Lymphgefäßsystem zum Bereich hinter den Schlüsselbeinen transportiert. Kurz vor dem Herz (im „Venenwinkel“) wird die Lymphflüssigkeit in die großen Venen eingeleitet, die in der rechten Herzhälfte münden. Aber auch schon unterwegs gibt das Lymphgefäßsystem über die Venen der Lymphknoten etwa die Hälfte der aus dem Ödem entfernten Flüssigkeit an den venösen Kreislauf ab. Und schließlich wird das Wasser aus dem Ödem über die Nieren ausgeschieden und sammelt sich in der Harnblase.

Das ist auch so gewollt, denn die MLD ist ja schließlich dazu da, um das Ödem zu reduzieren und der „Abfall“ muss ja irgendwie aus dem Körper raus. Dieser Prozess wird durch die Kompressionstherapie – sei es mittels Bandagierung oder Bestrumpfung – unterstützt und sein Ergebnis längere Zeit aufrechterhalten.

Durch MLD und Kompressionstherapie können also relativ große Wassermengen in den Blutkreislauf eingeleitet werden. Es leuchtet ein, dass dadurch die Belastung des Herzens deutlich ansteigt. Ist das Pumporgan gesund und kräftig genug, bewältigt es diese Zusatzarbeit problemlos. Liegt aber eine Schwäche (Herzinsuffizienz) vor, kann die erhöhte Belastung jedoch zur Gefahr werden.

Aus diesem Grund muss der behandelnde Arzt vor der Verordnung von MLD und Kompressionstherapie abklären, ob Erkrankungen vorliegen, aufgrund derer die beiden Maßnahmen für den Patienten ein Risiko darstellen. Häufig genügt eine Überweisung zum Kardiologen (auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen spezialisierter Internist). Nachdem der Facharzt die Erkrankung des Herzens durch eine geeignete (medikamentöse) Therapie „kompensiert“ hat, können MLD und Kompressionstherapie – mit der entsprechenden Dosierung und unter regelmäßiger Beobachtung durch den verordnenden Arzt! – durchgeführt werden.


Indikation und Kontraindikation – Klärung eines doppeldeutigen Begriffs

Als „Indikation“ bezeichnet man einerseits eine medizinische Maßnahme, die bei einem bestimmten Krankheitsbild angebracht („indiziert“) ist und zum Einsatz kommen soll. So ist etwa die MLD beim chronischen Lymphödem (wozu auch das Lipo-Lymphödem zählt) indiziert, also angebracht.

Andererseits bezeichnen wir mit „Indikation“ auch das Anwendungsgebiet, für das eine bestimmte medizinische Behandlung sinnvoll ist. So ist das Lymphödem eine Indikation für die Behandlung mit MLD. Also ist die MLD eine Indikation für das Lymphödem und das Lymphödem eine Indikation für die MLD.

Das Gegenteil davon heißt „Kontraindikation“. Dem entsprechend ist die MLD eine Kontraindikation für die dekompensierte Herzinsuffizienz (Ödeme treten bereits in Ruhe auf) und diese wiederum eine Kontraindikation für die MLD.

Bei der Kontraindikation unterscheiden wir zwischen einer absoluten und einer relativen. Die absolute Kontraindikation verbietet die Maßnahme vollständig. Zum Beispiel ist eine Penicillinallergie eine absolute Kontraindikation für das Antibiotikum „Penicillin“ (Lebensgefahr!). Eine relative Kontraindikation spricht zwar gegen eine bestimmte Maßnahme, lässt sie aber zu, wenn sie im konkreten Einzelfall voraussichtlich mehr nützt als schadet. So ist etwa bei einem Patienten, der einmal ein Magengeschwür hatte, eine Behandlung mit Acetylsalicylsäure erst einmal kontraindiziert. Gibt es aber keine vernünftige Alternative und schätzt der Arzt in einem konkreten Fall den Nutzen der Behandlung als größer ein als das Risiko eines neuen Magengeschwürs, ist die Gabe des Medikaments trotzdem indiziert: Also ist die Behandlung mit Acetylsalicylsäure beim Magengeschwür eine relative Kontraindikation. Und umgekehrt.


Notwendigkeit der Modifizierung von MLD und Kompressionstherapie

Leidet ein Patient mit Lymphödem bzw. Lipödem daneben auch noch an einer (oder mehreren) bestimmten anderen Erkrankung(en), muss die Anwendung von MLD und Kompressionstherapie auf den Zustand des Patienten individuell abgestimmt werden. Laut den Leitlinien der „Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen“ ist dies bei folgenden Erkrankungen der Fall:
  • arterielle Hypertonie mit koronarer Herzerkrankung und / oder Herzinsuffizienz
  • Diabetes mellitus, insbesondere in Kombination mit diabetischer Neuropathie und Mikro- und Makroangiopathie
  • chronisch-venöse Insuffizienz Stadium III (nach Widmer) bzw. Stadium CEAP C4b-C6 (Dermoliposklerose mit oder ohne Ulcus cruris)
  • maligne Erkrankungen (in Fällen von Rezidiven mitunter als palliative Maßnahme)
  • Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises
  • entzündliche Darmerkrankungen
Als Kontraindikationen für MLD und Kompressionstherapie werden in den Leitlinien genannt
  • Erysipel (Wundrose)
  • akute Thrombophlebitis / Phlebothrombose
  • Herzinsuffizienz
  • arterielle Verschlusskrankheit
  • Malignom an von Lymphödem betroffener Lokalisation
Als Kontraindikationen für die Kompressionstherapie im Rahmen der komplexen physikalischen Entstauungstherapie des Lymphödems (Kompressionsbandagen und Kompressionsstrümpfe) nennt Frau Prof. Dr. Etelka Földi, Chefärztin der Földiklinik in Hinterzarten (Schwarzwald):
  • schwere arterielle Durchblutungsstörung
  • Sklerodermie
  • Morbus Sudeck
  • akute bakterielle Entzündung
Als relative Kontraindikation gibt Frau Prof. Földi an:
  • manifeste Herzinsuffizienz
  • schweres allergisches Exanthem
  • spastische Paresen
Kontraindikationen der MLD sind laut Dr. med. Michael Oberlin, Facharzt für Innere Medizin, Leitender Oberarzt in der Földiklinik in Hinterzarten (Schwarzwald):
generell, absolut:
  • akute Entzündung durch pathogene Keime
  • kardiales Ödem
  • akute Beinvenenkrankheiten
generell, relativ:
  • malignes Lymphödem
im Halsbereich, absolut:
  • Hyperthyreose
  • Überempfindlichkeit des Sinus caroticus
  • Herzrhythmusstörungen
im Halsbereich, relativ:
  • Alter
im Bauch-/Beckenbereich, absolut:
  • Schwangerschaft
  • während der Periode
  • bei Anfallsleiden (Epilepsie -> cave Tachypnoe)
  • bei Zustand nach Darmverschluss (Ileus)
  • Divertikulose des Darmes
  • Bauchaortenaneurysma oder nach dessen operativer Behandlung
  • massivste arteriosklerotische Veränderung (meist im Rahmen von Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus, Hyperlipidämien)
  • entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn)
  • starke Verwachsungen als Folge operativer Eingriffe
  • Veränderungen nach strahlentherapeutischer Behandlung von Bauch- und / oder Unterbauchregion
  • Strahlenzystitis, Strahlenkolitis
  • Zustand nach tiefer Beckenvenenthrombose
im Bauch-/Beckenbereich, relativ:
  • Alter
Kontraindikationen der Kompressionsbandage sind laut Dr. med. Oberlin:
absolut:
  • kardiales Ödem
  • arterielle Verschlusskrankheit
  • Morbus Sudeck
relativ (nur unter ärztlicher Aufsicht):
  • arterieller Hochdruck
  • Angina pectoris
  • Koronarsklerose
  • Herzrhythmusstörungen
  • Alter über 70
Zudem schreibt Dr. Oberlin, dass beim Vorliegen einer umfangreichen Multimorbidität eine bestehende koronare Herzkrankheit sowie grenzkompensierte Herz- / Nieren- / Leberinsuffizienzen individuell berücksichtigt werden müssen, um das Leben des Patienten (etwa durch Kompressionstherapie) nicht zu gefährden. Eine bestehende diabetische Polyneuropathie sowie eine fortgeschrittene chronisch venöse Insuffizienz mit Dermatoliposklerose und gegebenenfalls floridem Ulcus cruris stellen besondere Anforderungen an die Dosierung der Kompression, um keine Hautschäden zu verursachen. Bei geriatrischen Patienten kann die Kompressionstherapie nur mit stark reduziertem Druck angewandt werden. Zudem muss bei diesen Patienten darauf geachtet werden, dass die Mobilität nicht eingeschränkt und dadurch die Sturzgefahr erhöht wird.

In der Literatur wird bei der schweren arteriellen Durchblutungsstörung (periphere arterielle Verschlusskrankheit – pAVK) als Kontraindikationen für die Kompressionstherapie unterschieden zwischen:
  • Drücken der Fußarterien ("Knöcheldrücke") unter 70 mm HG sind absolute Kontraindikationen
  • Drücken der Fußarterien ("Knöcheldrücke") über 70 mm HG sind relative Kontraindikationen
Auch Phlegmasia coerulea dolens, eine seltene Sonderform der Phlebothrombose, wird in der Literatur als absolute Kontraindikation angegeben. Doch da es sich hier um einen Notfall handelt, der sofort chirurgisch behandelt werden muss, ist sowieso nicht an eine Kompressionstherapie zu denken, solange die Erkrankung nicht therapiert ist.


Verbreitung von Krebszellen bzw. Krankheitserreger durch die MLD

Entgegen früherer Annahmen geht man heute davon aus, dass eine mechanische Beeinflussung eines bösartigen Tumors durch MLD, Massage oder andere physikalische Maßnahmen zwar theoretisch denkbar, im Einzelfall aber eher unwahrscheinlich sei. Nur bei Kopf-Hals-Tumoren kann man nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die MLD Krebszellen in gesundes Gewebe verschiebt. Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren leiden jedoch häufig unter schweren Lymphödemen im Gesicht, die nur mittels MLD zurückgebildet werden können. In diesen Fällen muss der Nutzen der MLD gegen das Risiko abgewogen werden. Meist fällt dann die Entscheidung für eine MLD, um die Beschwerden zu lindern.

Für alle anderen Krebserkrankungen ist ein Zusammenhang zwischen MLD, Massage etc. und Metastasierung nicht bewiesen. Trotzdem sollte hier nur mit großer Vorsicht behandelt werden. In den meisten Fällen gilt die direkt betroffene Körperregion bis zur vollständigen Heilung als tabu.

Wie wir soeben gesehen haben, geben verschiedene Autoren „Erysipel“, „akute bakterielle Entzündung“ bzw. „akute Entzündung durch pathogene Keime“ als Kontraindikationen der MLD bzw. der Kompressionstherapie an. Diese Auffassung wird jedoch von Dr. med. Stefan Nestoris, Leitender Oberarzt in der Klinik für Dermatologie am Klinikum Lippe in Detmold, teilweise relativiert. In seinem Beitrag „Lymphtherapeutische Maßnahmen beim Erysipel der Beine“ in der Ausgabe 3 / 2011 der Zeitschrift „Phlebologie“ (Schattauer Verlag) schreibt Dr. Nestoris, dass man „immunkompetente Patienten“ mit Erysipel sehr wohl mit MLD behandeln kann. Voraussetzungen dafür sind, dass eine Therapie mit einem Antibiotikum Wirkung zeigt („bei adäquater und klinisch greifender Antibiose“), „der Patient fieberfrei ist und die lokale Schmerzsituation es zulässt“.

Dies „kann bereits am 2. Behandlungstag der Fall sein, so dass eine statische Festlegung eines Behandlungsbeginns abzulehnen ist und im Einzelfall entschieden werden sollte.“ Als Kontraindikationen für eine MLD ist nach Dr. Nestoris „eine begleitende Lymphangitis, Perilymphangitis oder Lymphadenitis anzusehen, da es hierbei möglicherweise zu einer Abszedierung kommen kann.“ Als Abszedierung bezeichnet man in der Medizin die Ausbildung eines Abszesses, einer Eiteransammlung in einem neu gebildeten Hohlraum im Gewebe.


Was kann im Fall von Kontraindikationen getan werden?

Grundsätzlich sollte die Erkrankung, die die Anwendung von MLD bzw. Kompressionstherapie nicht erlaubt, vorab geheilt bzw. medikamentös oder durch andere geeignete Maßnahmen eingestellt („kompensiert“) werden. Damit können MLD / Kompressionstherapie während der Erhaltungsphase ambulant meist problemlos durchgeführt werden. Ist jedoch aufgrund der starken Ausprägung des Lymphödems bzw. Lipödems eine Entstauungsphase gefordert und stellt die Begleiterkrankung ein Risiko dar, ist eine stationäre Unterbringung in einer Klinik notwendig, die sowohl über die notwendige lymphologische Kompetenz verfügt als auch bei Bedarf entsprechend akut versorgen kann.

Nachdem leider im April 2014 die renommierte und lymphologisch hochkompetente (Dr. Heinrich Hakuba) Hochrhein-Eggberg-Klinik in Bad Säckingen schloss, stehen für lymphologische Akutversorgung diese Kliniken zur Verfügung (nach PLZ geordnet):

Charité - Universitätsmedizin Berlin, CCM: Campus Charité Mitte, CC 12: Innere Medizin und Dermatologie, Arbeitsbereich Physikalische Medizin
Charitéplatz 1, 10117 Berlin
Tel. 030 / 450-517082

HELIOS Klinik Oberwald-Grebenhain
Gefäßchirurgie / Angiologie
An den Mühlwiesen 14-17, 36355 Grebenhain
Tel. 0 66 44 / 89-600

Gefäß- und Lymphzentrum Nord-West
Mathias-Spital Rheine
Frankenburgstraße 31, 48431 Rheine

Pius-Hospital Ochtrup
Piusstraße 5, 48607 Ochtrup
Tel. 05971 / 42-1338

Hufeland-Klinik
Naturheilmedizin Akut (max. 5 Patienten)
Taunusallee 5, 56130 Bad Ems
Tel. 0 26 03 / 92-1819

Klinikum Freising
Fachabteilung für Lymphangiologie
Alois-Steinecker-Straße 18, 85354 Freising
Tel. 08161 / 24-3000

Klinikum Fichtelgebirge
Medizinische Klinik für Lymphologie
Weißenbacher Str. 62, 95100 Selb
Tel. 09287 / 971-121

Daneben können auch die Kliniken für Dermatologie (Hautkliniken) bzw. für Gefäßchirurgie an Universitätskliniken für die Versorgung von Menschen mit Lymphödemen bzw. Lipödemen mit Begleiterkrankungen in Betracht kommen. Unikliniken gibt es in Aachen, Bochum, Herne, Bonn, Dresden, Düsseldorf, Erlangen, Essen, Frankfurt (Main), Freiburg, Gießen, Göttingen, Greifswald, Halle (Saale), Hamburg-Eppendorf, Hannover, Heidelberg, Homburg (Saar), Jena, Kiel, Köln, Leipzig, Lübeck, Mainz, Magdeburg, Mannheim, Marburg, München, Münster, Regensburg, Rostock, Tübingen, Ulm und Würzburg.

Gesetzlich versicherte Patienten benötigen eine Krankenhauseinweisung durch den behandelnden Arzt. In jedem Fall sollte die Indikation zuvor im Rahmen eines persönlichen Telefongespräches mit der Klinik geklärt werden. Privat Versicherte sollten sich unbedingt vorab eine schriftliche Zusage ihrer Krankenversicherung einholen, beihilfeberechtigte Patienten die Leistungszusage bei ihrer zuständigen Beihilfestelle.

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