Lymphologischer
Informationsdienst
rainer h. kraus

Aktuelles zum Lipödem


08.03.2024

Uniklinik Köln richtet Spezialsprechstunde für Lipödemschmerz ein


„Die neue Spezialsprechstunde soll eine wichtige Anlaufstelle für betroffene Frauen sein, die oft jahrelang mit unerklärlichen Beschwerden leben. Wir wollen ihren langen Weg von häufig 20 Jahren bis zur Diagnose deutlich verkürzen und eine frühzeitige Diagnosestellung ermöglichen“, erklärt Dr. Vanessa Löw, Ärztliche Leiterin des Schmerzzentrums. „Unser Ziel ist es, den Patientinnen individuell bestmöglich Schmerzlinderung zu ermöglichen. Wir werden auch mithelfen, die psychischen Belastungen aufzufangen, die mit dieser Erkrankung einher gehen können.“

Die Spezialsprechstunde steht allen Lipödem-Patientinnen offen, unabhängig davon, ob die Diagnose bereits gestellt wurde oder nicht. Eine umfassende Anamnese und Diagnostik, einschließlich klinischer Untersuchungen und Schmerzfragebögen, soll den individuellen Bedürfnissen jeder Patientin gerecht werden. Zusätzlich wird die Möglichkeit einer psychotherapeutischen Unterstützung angeboten.

Nähere Informationen finden Sie hier:
https://www.uk-koeln.de/uniklinik-koeln/aktuelles/detailansicht/erste-spezialsprechstunde-lipoedemschmerz-eroeffnet/

https://anaesthesie.uk-koeln.de/klinik/ambulante-behandlung/spezialsprechstunde-lipoedemschmerz/




21.02.2024

Untersuchung, wie sich die Diagnose Lipödem auf die mentale Gesundheit von berufstätigen Frauen auswirkt


Weil es bisher keine einheitliche Methode zur Diagnose des Lipödems gibt, müssen Frauen lange auf ihre endgültige Diagnose warten. Zudem haben sie nur einen unzureichenden Zugang zu benötigten Hilfsmitteln, wie individuell angepasster Kompression. Dies kann zu körperlichen, psychischen und beruflichen Einschränkungen führen. Frauen mit einem Lipödem werden häufig mit Stigmatisierungen in ihrem Umfeld konfrontiert. Laura Simmendinger hat sich mit dieser Thematik in ihrer Bachelorarbeit beschäftigt. Die Bachelorarbeit finden Sie unter diesem Link: Download der Bachelor-Arbeit



22.01.2024

S2k Leitlinie Lipödem veröffentlicht


Dreieinhalb Jahre später als geplant, wurde soeben die S2k Leitlinie Lipödem veröffentlicht. Sie wurde unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (DGP) erstellt und tritt an die Stelle der S1-Leitlinie Lipödem von 2015. Seit 2015 hat sich nicht nur die Sichtweise auf diese Erkrankung verändert, auch die verfügbare Literatur hat beträchtlich an Umfang zugenommen. Daher war das Ziel der Neubearbeitung von Anfang an, eine S2k-Leitlinie zu schreiben.

Medizinische Leitlinien (englisch: „guidelines“) sind systematisch entwickelte Aussagen, um Ärzte und andere im Gesundheitssystem tätigen Personen sowie Patienten bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen. Leitlinien entbinden den Arzt nicht von der Überprüfung der individuellen Anwendbarkeit im konkreten Fall. Sie dienen lediglich als Entscheidungshilfen und sind – im Gegensatz zu Richtlinien – rechtlich nicht verbindlich.

Nach dem System der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) werden Leitlinien in vier Entwicklungsstufen von S1 bis S3 entwickelt und klassifiziert, wobei S3 die höchste Qualitätsstufe der Entwicklungsmethodik ist. S1 besagt, dass die Leitlinie von einer Expertengruppe im informellen Konsens erarbeitet wurde. Dagegen hat bei der Erstellung einer S2k Leitlinie eine formale Konsensfindung stattgefunden.

Die S2k Leitlinie kann hier heruntergeladen werden:
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/037-012



24.08.2023

Großangelegte Datenerhebung zum Lipödem


Der Grund für das lange Leiden und die zahlreichen Probleme, mit denen Lipödem-Patientinnen geplagt sind, ist der immense Mangel an gesicherten Informationen über das Lipödem. Darum lehnen viele Ärzte es ab, das Lipödem als Krankheit anzuerkennen. Und selbst wenn sie wissen, dass das Lipödem eine behandlungspflichtige Erkrankung ist, tun sie sich oft schwer damit, eine bedarfsgerechte Therapie zu verordnen.

Den immensen Mangel an gesicherten Informationen über das Lipödem will die Datenerhebung LF PST beheben. Lipödem-Patientinnen daran kostenlos teilnehmen. Falls sie noch keine ärztlich gestellte Diagnose ihres Lipödems haben, können sie auf Wunsch eine Auswahl von wohnortnahen Spezialisten erhalten. Damit haben sie die Möglichkeit, sich kompetent untersuchen zu lassen und eine gesicherte Diagnose gestellt zu bekommen. Gegebenenfalls kann dann auch eine Therapie eingeleitet werden.

Je mehr Lipödem-Patientinnen an der Datenerhebung teilnehmen, desto höher wird die Qualität der Ergebnisse sein. Die Teilnahme an LF PST ist kostenlos und unkompliziert: Gehen Sie auf https://lido.lysearch.de/de/registrierung/patientin. Mit einem Klick darauf erhalten Sie einen direkten Zugang zu Ihrem LF PST mit einem zweiteiligen Fragebogen. Füllen Sie den ersten Teil des Fragebogens – PatientinnenPart – in aller Ruhe aus. Die Fragen werden Ihnen bekannt vorkommen, die Kreuzchen zu setzen wird für Sie kein Aufwand sein. Wenn Sie das gemacht haben, senden Sie den elektronischen Bogen per Kopfdruck automatisch an das Zentrum für die Erforschung des Lipödems zurück.

Hinweis: Im LF PST wird das Lipödem „LiDo“ genannt. Das ist die Abkürzung von „Lipohyperplasia Dolorosa“, was „schmerzhafte Fettgewebsvergrößerung“ bedeutet.

LF PST umfasst Ihre Erkrankung vollständig und individuell. Da niemand die Erkrankung so gut beschreiben kann, wie die Betroffenen selbst, können Sie mit Ihrer Teilnahme die Lipödem-Forschung durch Ihr Wissen unterstützen. Im Verlauf Ihrer Behandlung kann der Fragebogen immer mit aktuellen Daten ergänzt werden, sodass die Entwicklung Ihres Lipödems bzw. die erzielten Verbesserungen durch die Therapie dokumentiert werden. Auf diese Weise kann der Fundus an Wissen über das Lipödem und dessen Behandlung erheblich erweitert werden. Darum wäre es so wichtig, dass Sie als Betroffene bei der Forschung und der Aufklärungsarbeit mitwirken, indem Sie den LF PST ausfüllen und zurückschicken. Und empfehlen Sie den LF PST bitte unbedingt weiter.

LF PST ist ein Tool zur Erfassung von Daten jeweils einer Patientin für den Arzt. Diese Daten werden dem Arzt pseudonymisierten zur Verfügung gestellt. Die anonymisierten Daten gehen zeitlich unbegrenzt in einen Pool der LY.SEARCH, die ihrerseits daraus Kohorten- oder Langzeit-Untersuchungen entwickeln kann. Die Daten sind nicht mehr zu rekonstruieren. LY.SEARCH ist ein Nonprofit-Unternehmen, das sich ausschließlich privat refinanziert oder durch konkrete Forschungsaufträge Zuwendungen erhält.





11.07.2023

Deutscher Bundestag lehnt Antrag auf bessere Therapieoptionen bei Lipödem-Patientinnen ab


Vorabfassung von Beschlussempfehlung und Bericht (pdf)



29.06.2023

Kosten für Liposuktion bei Lipödem sind steuerlich absetzbar


Am 29. Juni 2023 veröffentlichte der Bundesfinanzhof (BFH) ein Urteil, das entschied, dass Aufwendungen für eine Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems ohne Vorlage eines vor den Operationen erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als außergewöhnliche Belastung steuermindernd geltend gemacht werden können.



Das Urteil mit dem Aktenzeichen VI R 39/20 finden Sie hier: https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202310127/

Dabei stellte der BFH klar, dass seit 2016 unter Medizinern kein nennenswerter Streit mehr über Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der Behandlung besteht. Somit kann jetzt auch im Nachhinein Antrag auf Änderung gestellt werden, die jedoch individuell zu prüfen sind. Dafür empfehlen wir Ihnen, sich an eine Fachanwältin bzw. einen Fachanwalt für Sozialrecht zu wenden. Persönlich sind uns als für das Lipödem kompetent bekannt:

Rechtsanwältin Ruth Leitenmaier in 92334 Berching, https://www.kanzlei-leitenmaier.de/

Rechtsanwalt Tim Christian Werner in Frankfurt am Main, http://www.lipoedem-anwalt.de/





21.06.2023

Deutscher Bundestag: Experten befürworten bessere Therapieoptionen bei Lipödem-Patientinnen

https://www.youtube.com/watch?v=hK9PlVmmMH8





11.05.2023

Linke fordert bessere Versorgung für Lipödem-Patienten

Die Linksfraktion fordert eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung für Lipödem-Patienten. In Deutschland sei vermutlich ungefähr jede zehnte Frau von der chronischen Fettverteilungsstörung betroffen, heißt es in einem Antrag (Antrag-Download pdf) der Fraktion. Die Vorlage wurde am Donnerstag, 11. Mai 2023, erstmalig im Bundestag beraten. Abgeordnete aus den anderen Fraktionen räumten zwar ein, dass es ein Versorgungsproblem gibt, wiesen jedoch auf die aktuell laufende Studie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hin, die Anfang 2021 startete und noch bis September 2025 läuft. Für die Linken fordert Heidi Reichinnek, dass die Krankenkassen schon vor dem Ende der Studie die Kosten für die Liposuktion übernehmen sollen. Das wies Martina Stamm-Fiebich (SPD) zurück, räumte aber ein, dass viele Frauen eine Odyssee hinter sich hätten, bis sie eine gesicherte Diagnose erhalten haben. Daher erklärte sie: „Wir müssen die Frauen besser durch das Gesundheitswesen begleiten und ihnen erklärten, was die Krankheit bedeutet.“ Dagegen fordert Saskia Weishaupt von den Grünen eine Übergangslösung, bis die Ergebnisse der Studie vorlägen. „Die Leidtragenden sind hier wieder einmal Frauen.“ Zudem kritisierte sie, dass auch bei den Betroffenen, für die die Kosten für eine Liposuktion seit 2019 übernommen würden, der Nachweis einer schweren Betroffenheit oft schwierig sei.

Simone Borchardt (CDU) wies darauf hin, dass der früherer Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits 2019 Änderungen für die Frauen durchgesetzt hatte, damals auch gegen den Widerstand von G-BA-Vorsitzenden Hecken. „Wir müssen genau an dieser Stelle nun weitermachen“, so Borchardt. Dabei gehe es um Diagnosekriterien, frühere Diagnosen und ambulante Behandlungsmöglichkeiten. Auch müsse die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst durch Fachpersonal durchgeführt werden, das sich mit dem Lipödem auskennt. Nicole Westig (FDP) beklagte: „Die Betroffenen müssten in den drei Jahren nach der Operation bangen, vom Medizinischen Dienst anders eingestuft zu werden und so zur Kasse gebeten zu werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand“. Eine Liposuktion kostet rund 5.000 Euro, oftmals sind aber mehrere OPs notwendig. Generell beklagten die Abgeordneten, dass Frauengesundheit in der Medizin noch immer eine untergeordnete Rolle spiele, dass Medizin an Männern ausgerichtet ist. Ähnlich wie an der Endometriose, müsse mehr an Krankheiten geforscht werden, die nur Frauen betreffen.

Die Abgeordneten der Linksfraktion fordern die Erstattungsfähigkeit der Liposuktion auch in den Stadien I und II sicherzustellen, noch bevor die Ergebnisse aus der Erprobungsstudie des G-BA vorliegen. Zudem müssten im Haushalt ausreichend Mittel zur Erforschung der Entstehung, der Ursachen sowie Behandlung des Lipödems zur Verfügung gestellt werden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) sollte mit einer Studie zur Zahl der Lipödem-Erkrankten, ihrer sozialen und gesundheitlichen Situation sowie ihrer Versorgung beauftragt werden. Mit einer Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sollten ferner vor allem Mädchen und junge Frauen auf die Krankheit aufmerksam gemacht werden.





07.12.2022

Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung sowie vertragsärztliche Versorgung: Liposuktion bei Lipödem – Verlängerung der Aussetzung

Am 20. März 2014 hat die Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einen Antrag auf Bewertung der Liposuktion bei Lipödem gemäß §§ 135 Absatz 1 Satz 1, 137c SGB V gestellt. Diesen Antrag hat das Plenum (das Beschlussgremium) des G-BA am 22. Mai 2014 angenommen. Am 20. Juli 2017 hat der G-BA beschlossen, das Verfahren gemäß §§ 135 Absatz 1, 137c Absatz 1 SGB V zur Bewertung der Liposuktion beim Lipödem nach 2. Kapitel § 14 Absatz 1 VerfO bis zum 30. September 2022 auszusetzen und die Beratungen zu einer Erprobungs-Richtlinie gemäß § 137e Absatz 1 SGB V aufzunehmen, um durch eine randomisierte kontrollierte Erprobungsstudie ausreichende Erkenntnisse über den Nutzen der Liposuktion bei Lipödem als Grundlage für einen dauerhaften Leistungseinschluss oder -ausschluss zu erlangen.

Nachdem das ursprüngliche Ziel eines Abschlusses der Studie bis zum 30. September 2022 nicht erreicht werden konnte, hat der G-BA hat die Aussetzung seines Methodenbewertungsverfahrens bis zum 31. Dezember 2024 verlängert, zumal er im Zuge einer Update-Recherche auch keine Ergebnis-Publikationen anderer zur Nutzenbewertung hinreichend geeigneter Studien identifizieren konnte.

Detaillierte Informationen hierzu finden Sie hier:
https://www.g-ba.de/beschluesse/5629/

https://www.g-ba.de/beschluesse/5628/



26.10.2021

Lipödem Hilfe Deutschland e.V. feiert 10-jähriges Bestehen


Lipödem Selbsthilfe
© Lipödem Hilfe Deutschland e.V

Informationen zum Thema „Lipödem“ waren im Jahr 2010, außer in einem Fachforum im Internet, Fehlanzeige. Dieser Umstand bewegte 10 Frauen, die selbst von der Krankheit Lipödem betroffen sind, einen Verein zu gründen.

Am 11. März 2011 wurde der Verein mit Sitz in Rahden im nördlichen NRW als Selbsthilfeorganisation beim Amtsgericht ins Vereinsregister eingetragen. Inzwischen zählt der Verein deutschlandweit 478 Mitglieder.

Der Verein Lipödem Hilfe Deutschland e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch Öffentlichkeitsarbeit aufzuklären und Betroffenen zu helfen. So finden jährlich zwei Infoveranstaltungen mit einer dazugehörigen Industrieausstellung für Betroffene und deren Angehörige, mit Ärzten, Physiotherapeuten, Fachkräften aus den Sanitätshäusern, Anwälten und anderen Interessenten statt. Regelmäßig im Monat Mai findet der Lipödemtag in Hannover statt. Im Oktober wechselt der Veranstaltungsort innerhalb Deutschlands. Hinzu kommen Informationsstände in verschiedenen Großstädten im gesamten Bundesgebiet.

Um auf die Erkrankung Lipödem aufmerksam zu machen, versammelten sich auch schon Vereinsmitglieder und Patientinnen aus ganz Deutschland in Essen und Düsseldorf und bildeten Menschenketten.

Unterstützung fanden Sie dabei auch bei den örtlichen Selbsthilfegruppen, ansässigen Ärzten und letztendlich bei ihren Familienangehörigen. Ebenso sprachen die beiden Vorsitzenden Frau Tehler und Frau Bergert bereits im Landtag von Nordrhein-Westfalen bei gesundheitspolitischen Sprechern zum Thema Lipödem vor.

Der Verein Lipödem Hilfe Deutschland e.V. berät deutschlandweit Betroffene, deren Angehörige und alle anderen Interessenten rund um das Krankheitsbild Lipödem.

Hilfesuchende erhalten erste Informationen über die Homepage und erreichen die Ansprechpersonen des Vereins telefonisch Montag - Freitag in der Zeit von 11.00 - 15.00 Uhr, ansonsten per E-Mail und bei Facebook. Die Kontaktdaten lauten:

Lipödem Selbsthilfe NRWLipödem Hilfe Deutschland e.V.
Drosselweg 8
32369 Rahden

Telefon: 0151 28298633

E-Mail: beratung@lipoedem-hilfe-ev.de
Homepage: http://www.lipoedem-hilfe-ev.de
Facebook: https://www.facebook.com/lipoedemhilfe/
Forum: www.lipoedem-forum.de

Als Ansprechpartner stehen
die 1. Vorsitzende Frau Marion Tehler und
die 2. Vorsitzende Frau Peggy Bergert zur Verfügung.





25.03.2021

Liposuktion: Bundessozialgericht erleichtert Krankenhäusern die Erprobung nicht anerkannter Methoden

Nach dem vernichtenden Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel am 24. April 2018 durften Krankenkassen nicht mehr in Einzelfall-Entscheidungen die Kosten für eine stationär durchgeführte Liposuktion beim Lipödem übernehmen. Wir haben darüber berichtet (siehe unten).

Jetzt, am 25. März 2021, rückte der 1. BSG-Senat unter dem Vorsitz seines neuen Präsidenten Rainer Schlegel von dieser strengen Rechtsprechung ab. Dabei verwies Schlegel auf eine 2015 in das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz eingefügte Ergänzung. Diese ermöglicht Krankenhäusern im Einzelfall auch „individuelle Heilversuche“ außerhalb einer vom Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA) verabschiedeten Erprobungsrichtlinie, sofern die Methode „das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet“. Laut BSG, beinhaltet das „eine partielle Einschränkung des allgemeinen Qualitätsgebots“.

Zwar sind entsprechende Ausnahmen hinsichtlich auf Qualität und Wirtschaftlichkeit auch nach der neuen Rechtsprechung „restriktiv auszulegen“, nun aber immerhin möglich. Die BSG-Richter nannten dafür drei Voraussetzungen:
  • Es muss „eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung“ vorliegen.
  • Es darf „keine andere Standardbehandlung verfügbar“ sein.
  • Es muss nach den einschlägigen Vorgaben des G-BA „die Annahme des Potenzials einer erforderlichen Behandlungsalternative“ gerechtfertigt sein.
Bundessozialgericht, Az.: B 1 KR 25/20 R



04.01.2021

Fachklinik für integrative Lymphologie
vom Aus bedroht

Vielen Tausend Filariasis-Patient(inn)en mit massiven, teils gigantischen Lymphödemen konnte die Fachklinik für integrative Lymphologie des „Institute of Applied Dermatology“ (IAD) im südindischen Kasaragod in den letzten 20 Jahren wieder zu einem weitgehend aktiven und selbstbestimmten Leben verhelfen.

Das integrative Therapiekonzept dieser Klinik kombiniert schulmedizinische Heilmethoden (Allopathie) mit Ayurveda, Homöopathie, Yoga und anderen traditionellen indischen Medizinsystemen. Während ihres Klinikaufenthalts werden die Patient(inn)en und Angehörige in der bedarfsgerechten Weiterbehandlung nach ihrer Rückkehr nachhause geschult. Größter Wert wird dabei auf die Stärkung der Eigeninitiative und Fähigkeiten der Patient(inn)en gelegt. Das Lernprogramm wurde vom IAD speziell für Menschen aus ressourcenarmen und bildungsfernen Schichten entwickelt. Bei Bedarf, insbesondere in Fällen von Komplikationen (Erysipel etc.) bietet das IAD poststationär telemedizinische Betreuung per Smartphone an.

Da viele Filariasis-Patient(inn)en in wirtschaftlich prekären Verhältnissen leben, betreibt das IAD eine besonders soziale Tarifpolitik: Gewinne aus den Einnahmen von eher vermögenden Patient(inn)en werden dazu verwendet, Ärmeren eine Behandlung zu erschwinglichen Preisen zu ermöglichen. Um völlig mittellose Patient(inn)en zu versorgen, wirbt das IAD Spenden ein, die häufig von dankbaren ehemaligen Patient(inn)en, aber auch aus Europa und den USA kommen.

Das Versorgungskonzept des IAD wird wissenschaftlich begleitet durch intensive Forschung in Kooperation mit internationalen Experten wie Prof. Terence. J. Ryan, Oxford, Prof. Peter Mortimer, London, um nur einige zu nennen. Der Chefarzt des IAD, Dr. Saravu Rama Bhat Narahari, ist Mit-Autor der von der Weltgesundheitsorganisation WHO 2018 herausgegebenen Trainingsbroschüre „Recognizing Neglected Tropical Diseases Through Changes On The Skin“ für lokale Gesundheitsarbeiter (Community Health Worker) in der Dritten Welt.

Als die indische Regierung am 24. März 2020 einen landesweiten Lockdown anordnete, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern, brachen die Einnahmen des IAD schlagartig weg. Die Mitarbeiter mussten unbezahlten Urlaub nehmen. Seit der Aufhebung des Lockdowns scheuen viele Patient(inn)en aus Furcht vor Corona vor der teils tagelangen Anreise zum IAD zurück. Bereits angemeldete Patient(inn)en haben während des Lockdowns ihre finanziellen Reserven verloren, so dass sie sich keine medizinische Behandlung mehr leisten können und deshalb absagen mussten. Darum sind derzeit nur sehr wenige Patient(inn)en in der Klinik. Die außerordentlich motivierten Mitarbeiter arbeiten im Moment unentgeltlich oder nur minimal bezahlt. Doch lange können sie das nicht durchhalten, dann blutet das IAD aus!

Um das Abwandern der lymphologisch hochqualifizierten Mitarbeiter und den Zusammenbruch des IAD zu verhindern, möchte ich Geld sammeln, damit während der nächsten Monate arme Lymphödem-Patient(inn)en kostenlos in der IAD-Klinik behandelt werden können. Viele von ihnen – Subsistenz-Bauern, Tagelöhner, Hirten, Fischer etc. – sind aufgrund ihrer Erkrankung als Ernährer/innen ihrer Familien ausgefallen. Durch ihre Behandlung im IAD würden sie und ihre Familien aus bitterster Armut befreit werden können. Und die Mitarbeiter des IAD könnten einen Lohn erhalten, der zumindest das Überleben ihrer Familien sichert, bis das IAD wieder „auf die Beine gekommen“ ist.

Darum möchte ich Sie um eine finanzielle Unterstützung bitten, damit diese Klinik ihre menschlich und lymphologisch unendlich wertvolle Arbeit auch weiterhin ausüben kann. Ich habe aus eigener Tasche 1.300 € an das IAD überwiesen und für alle Mitarbeiter Nürnberger Lebkuchen geschickt, um ihnen in dieser schweren Zeit eine kleine Freude zu bereiten.

Als 1. Vorsitzender des Lymphvereins ist es mir außerordentlich wichtig, dass das IAD gerettet wird. Denn seit 2018 ist das IAD unser wichtigster Kooperationspartner beim Aufbau von Strukturen zur Versorgung von Elephantiasis-Patient(inn)en in Äquatorial-Ostafrika, siehe http://www.elephantiasis.care. Ohne die spezifische lymphologische Expertise des IAD in der Versorgung ressourcenarmer und bildungsferner Bevölkerungsschichten würde das Elephantiasis-Projekt des Lymphvereins unweigerlich scheitern!

Bitte überwiesen Sie Ihre Spende mit dem Überweisungsgrund IAD-Nothilfe an:
Verein zur Förderung der Lymphoedemtherapie e.V.
IBAN: DE09 7605 0101 0578 2780 79
Sparkasse Nürnberg – BIC: SSKNDE77XXX

Der 1999 gegründete gemeinnützige „Verein zur Förderung der Lymphoedemtherapie e.V.“ (kurz: „Lymphverein“) überweist das Spendenaufkommen vollständig an das IAD. Die Kosten für die Auslands-Überweisung trägt der Lymphverein. Dieser kann gemäß § 10 b des Einkommensteuergesetzes Spendenquittungen für Zuwendungen an eine der in § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes bezeichneten Körperschaften, Personenvereinigung oder Vermögensmassen ausstellen.

rainer h. kraus

1. Vorsitzender
Mitgliederbetreuer
Öffentlichkeitsarbeiter

Mitgliedschaften
Berufsverband der Lymphologen e.V. –www.lymphologen.de
Deutsche Gesellschaft für Lymphologie e.V. –www.dglymph.de
Lymphselbsthilfe-Bundesverein (Gründungsmitglied) –www.lymphselbsthilfe.de
Partenariat Français du Lymphœdème (PFL) –www.lympho.org

Verein zur Förderung der Lymphoedemtherapie e.V.
Marie-Curie-Straße 2
91154 Roth (Mittelfranken)
Allemagne / Germany

www.lymphverein.de



Besuchen Sie auch die Homepage des IAD: www.iad.org.in

Institute of Applied Dermatology (IAD) Indien

Das IAD bietet Ärzten, Therapeuten und lymphologisch interessierten Personen die Möglichkeit, während einer Hospitation sein integratives Behandlungskonzept kennenzulernen.

Kleine Einblicke in die Arbeit des IAD:
Prof. Peter Mortimer, St. Georges, London:
https://www.youtube.com/
Prof. Terence Ryan, Oxford University:
https://www.youtube.com
IAD Blogs by Dr. Prasanna:
https://iadorg.blogspot.com/2020/07/our-journey_27.html
https://iadorg.blogspot.com/2020/07/our-journey.html
https://iadorg.blogspot.com/2020/12/the-iads-journey-of-late-mrs-dagli.html



21.10.2020

Liposuktion bei Lipödem - Sächsisches Finanzgericht erleichtert den Abzug außergewöhnlicher Belastungen

Das Sächsische Finanzgericht hat über den Abzug von Kosten einer Liposuktion (Fettabsaugung) bei einer Lipödemerkrankung als außergewöhnliche Belastung entschieden. Diese Kosten können nachdem Urteil vom 10. September 2020 als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt. Ein vorheriges amtsärztliches Gutachten ist - abweichend von der bisherigen finanzgerichtlichen Rechtsprechung - nicht mehr erforderlich.

Die Klägerin litt seit vielen Jahren unter einem Lipödem des Stadiums I und ließ im Jahr 2017 auf ärztliche Empfehlung eine Liposuktion durchführen, die von ihrer Krankenkasse nicht bezahlt wurde. Auch das Finanzamt verweigerte die Anerkennung der (fünftstelligen) Kosten als außergewöhnliche Belastung, weil die Liposuktion bei Lipödem eine „wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode“ sei und die Klägerin nicht - wie bei solchen Methoden gesetzlich gefordert - vor der Operation ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes einer Krankenversicherung eingeholt habe. Damit folgte das Finanzamt der bisherigen Rechtsprechung.

Der 3. Senat des Sächsischen Finanzgerichts gab hingegen der Klägerin recht, weil sich der Stand der Wissenschaft im Jahr 2017 gewandelt habe: Die Liposuktion bei Lipödem sei keine Schönheitsoperation, sondern diene der Linderung der durch die Erkrankung verursachten Beschwerden und der Vermeidung von Folgeerkrankungen. Die Liposuktion werde von nahezu allen mit dieser Krankheit befassten Wissenschaftlern als risikoarme Behandlungsmethode angesehen, von der die Patientinnen profitierten. Es handele sich nicht (mehr) um eine „wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode“, so dass ein ärztliches Attest ausreiche. Die Richterbegründeten dies mit den in der medizinischen Fachpresse veröffentlichen Beiträgen und den gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss im Verfahren zur Beurteilung der Liposuktion abgegebenen Stellungnahmen.

Auch wenn nach den Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 20. Juli 2017 und 19. September 2019 eine Liposuktion bis zum Abschluss der beschlossenen Erprobungsstudie weiterhin in der Regel keine Kassenleistung sein dürfte, können die Kosten aufgrund der Entscheidung des Sächsischen Finanzgerichtsleichter steuerlich anerkannt werden. Es handelt sich aber um eine Einzelfallentscheidung, die von den Finanzämtern nicht auf gleichgelagerte Fälle angewandt werden muss.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage hat das Finanzgericht die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig
(Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 10.9.2020, Az. 3 K1498/18).



13.08.2020

Krankenkasse lehnt Kostenübernahme für Liposuktion beim Lipödem Stadium III nachträglich ab!

In unserer Mitteilung vom 23.01. haben wir die Befürchtung geäußert, dass sich gesetzliche Krankenkassen nachträglich weigern könnten, die Kosten für die Liposuktion beim Lipödem Stadium III zu bezahlen. Inzwischen hat sich unsere Befürchtung als Realität herausgestellt. Tatsächlich wurde uns das von ärztlicher Seite her berichtet. Noch läuft das Widerspruchs-Verfahren gegen die Weigerung der Krankenkasse. Wir werden darüber berichten, sobald uns das Ergebnis vorliegt. Falls Sie – ob als Patientin oder als Arzt – über ähnliche Fälle berichten können, wären wir Ihnen für entsprechende Mitteilungen an info@lipoedemportal.de sehr verbunden. Denn man kann gegen eventuelle Fehlverhalten von Krankenkassen vor allem dadurch ankämpfen, indem man diese öffentlich macht.



23.01.2020

Liposuktion beim Lipödem Stadium III jetzt Kassenleistung? Die Realität sieht anders aus!

Seit dem 1. Januar 2020 ist für das Lipödem Stadium III die Liposuktion an Armen und Beinen Kassenleistung. Diese Regelung ist bis zum 31. Dezember 2024 befristet. Laut der aktuellen Lipödem-Leitlinie ist das Stadium III charakterisiert durch „ausgeprägte Umfangsvermehrung.
Stadium III des Lipödems
Lipödem Stadium III
Bildquelle: Prof. Wilfried Schmeller, www.hanse-klinik.de
mit überhängenden Gewebeanteilen (Wammenbildung)“. Die Stadieneinteilung bezieht sich also lediglich auf den Gewebezustand, über den Grad der Beschwerden (Schmerzen etc.) sagt sie hingegen nichts aus. Eine Voraussetzung für die Liposuktion Stadium III zulasten der Krankenkassen ist, dass zuvor mindestens sechs Monate lang eine konservative Therapie durchgeführt wurde, die nicht zur Linderung der Beschwerden geführt hat. Die konservative Therapie kann zum Beispiel Lymphdrainage, Kompression und Bewegungstherapie umfassen.

Eine weitere Bedingung ist, dass der Body Mass Index (BMI) der Patientin nicht über 35 liegt. Der BMI gibt das Verhältnis von Gewicht und Körpergröße als Zahl an. Liegt der BMI über 35, muss zuvor eine Ernährungsberatung stattfinden. Da eine solche aber nur für seltene angeborene Stoffwechselerkrankungen verordnet werden kann, wenn Tod oder Behinderung drohen, müssen sich Lipödem-Patientinnen bei ihrer Krankenkasse erkundigen, ob diese die Kosten dafür übernehmen. Ob jedoch die Liposuktion durchgeführt werden kann, wenn der BMI nach der Ernährungsberatung immer noch über 35 ist, darüber gibt es keine verlässlichen Informationen. Bei einem BMI von 40 und mehr soll keine Liposuktion durchgeführt werden.

Die Liposuktion kann zulasten der gesetzlichen Krankenkassen entweder ambulant von niedergelassenen Ärzten oder stationär in Kliniken durchgeführt werden, sofern diese bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Niedergelassene Ärzte müssen den Nachweis dafür bei der für sie zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) erbringen, um von dieser die Genehmigung zur ambulanten Durchführung der Liposuktion zu erhalten. Auf unsere Frage, wie Lipödem-Patientinnen Ärzte finden können, die die Liposuktion als Kassenleistung durchführen dürfen, haben wir vom GKV-Spitzenverband folgende Antwort erhalten: „Vertragsärzte, die die Leistung durchführen und abrechnen wollen, müssen vor dem ersten Eingriff gegenüber ihrer zuständigen KV nachweisen, dass sie die Voraussetzungen erfüllen. Die KVen können zusätzlich in Stichprobenprüfungen einzelne Praxen und Behandlungsfälle auf die Erfüllung der Voraussetzungen überprüfen. Die Informationen, welche Ärzte die Anforderungen erfüllen, sind also bei den jeweiligen KVen grundsätzlich vorhanden. Sie sind in aller Regel auch auf den Internetseiten der KVen zugänglich, z.B. über eine Eingabemaske zur „Arztsuche“. Ist dies noch nicht der Fall, so können die KVen direkt kontaktiert werden.“

Also haben wir die gleiche Frage allen 16 KVen sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gestellt. Bis jetzt haben lediglich sechs KVen geantwortet, zehn KVen und die KBV hüllten sich in Schweigen. Die eingegangenen Antworten lauteten sinngemäß, dass sich das Qualitätssicherungsverfahren derzeit im Aufbau befindet. Daher könne man noch nicht abschätzen, welche Ärzte diese Leistung anbieten können. Genaueres weiß man evtl. nach dem Ende des zweiten Quartals, wenn den KVen die entsprechenden Abrechnungsziffern vorliegen.

Auf die Frage, wie Lipödem-Patientinnen Kliniken finden können, die die Liposuktion als Kassenleistung anbieten, erhielten wir vom GKV-Spitzenverband diese Auskunft: „Gemäß den Vorgaben der Qualitätssicherungs-Richtlinie des G-BA müssen alle Krankenhäuser vor der erstmaligen Durchführung der Liposuktionen zu Lasten der GKV gegenüber den Krankenkassenverbänden in ihrem Bundesland nachweisen, dass sie die Voraussetzungen erfüllen. Die Informationen werden also bei den Krankenkassen vorhanden sein und können dort erfragt werden. Hier hilft vermutlich zusätzlich auch die konkrete Abfrage oder Internetrecherche bei Kliniken, die in der Regel auf ihren Webseiten veröffentlichen, welche Leistungen sie anbieten und ob dies auch zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erfolgt.“

Auf unsere Anfrage, ob die Liposuktion genehmigt werden muss, teilte uns der GKV-Spitzenverband mit, dass für die ambulante Durchführung „keine Kostenübernahme beantragt werden“ braucht. Das bedeutet, dass hierfür die Vorlage der Versichertenkarte genügt. Und weiter: „Wenn die Liposuktion in einem Krankenhaus als stationäre Leistung durchgeführt werden soll, ist die Verordnung von Krankenhausbehandlung (Formular Muster 2) erforderlich. Handelt es sich um eine ambulante Operation in einem Krankenhaus, so ist eine Überweisung (Formular Muster 6) erforderlich.“

Inzwischen hat der Bewertungsausschuss[1] die Vergütungen bekanntgegeben, die niedergelassene Ärzte und Kliniken für die Durchführung der Liposuktion erhalten sollen. Diese liegen unter 1.000 Euro, sind also nur einem Bruchteil von dem, was für die Liposuktion als Selbstzahlerleistung in Rechnung gestellt wird. Hinzu kommt, dass für die OP zwar keine Genehmigung eingeholt werden muss, die Krankenkassen sich aber das Recht vorbehalten, nachträglich die medizinische Notwendigkeit für die Liposuktion überprüfen zu lassen. Das bedeutet, dass die Ärzte und Kliniken keinerlei Sicherheit dagegen haben, dass ihnen hinterher die Kostenübernahme verweigert wird. Unter diesen Bedingungen wird vermutlich kaum – wenn überhaupt – ein Arzt oder eine Klinik bereit sein, diese Leistung zu erbringen. Nach unserem Kenntnisstand ist lediglich die Fachklinik Hornheide in Münster (www.fachklinik-hornheide.de) dazu bereit, deren Träger ein gemeinnütziger Verein ist. Zudem hat die Fachklinik Hornheide ein eigenes Lipödemzentrum mit einer extra hierfür eingerichteten Spezialsprechstunde. Somit kann sie Patientinnen von der Diagnosestellung über die konservative Therapie bis hin zur operativen Versorgung begleiten.

[1] Der Bewertungsausschuss ist ein Gremium, das über die Höhe der Vergütung jeder neu eingeführten vertragsärztlichen Leistung entscheidet. Er besteht zu gleichen Anteilen aus dem GKV-Spitzenverband (stellvertretend für alle gesetzlichen Krankenkassen) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (stellvertretend für alle Vertragsärzte). Beide haben das gleiche Stimmgewicht.
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Neu: Lymphdrainage beim Lipödem

Bisher war es für Lipödem-Patientinnen schwierig bis unmöglich, Manuelle Lymphdrainage (MLD) verschrieben zu bekommen. Ein Grund dafür war, dass ein Großteil der Ärzte das Lipödem nicht als Krankheit, sondern als Übergewicht betrachten, für das keine MLD verordnet werden braucht. Doch der Hauptgrund war, dass in der Heilmittel-Richtlinie das Lipödem nicht als Indikation (rechtfertigender Grund) für die MLD verzeichnet war. Seit dem 1. Januar 2020 ist das anders: Für das Lipödem Stadium I bis III wurde ein "besonderen Verordnungsbedarf" festgestellt, auch wenn kein Lymphödem vorliegt. Darauf haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband im Dezember 2019 geeinigt.

Ein besonderer Verordnungsbedarf wird bei schweren Erkrankungen festgelegt, für deren Behandlung besonders viele Heilmitteltherapien wie MLD, Krankengymnastik usw. nötig sind. Die MLD-Verordnungen werden bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung des Arztes herausgerechnet bzw. berücksichtigt – das ist eine Erleichterung für den Arzt. Anträge durch Versicherte müssen nicht gestellt werden – der besondere Verordnungsbedarf ist automatisch anerkannt. Diese Regelung ist zunächst bis zum 31. Dezember 2025 befristet. Die KBV weist darauf hin, dass die komplexe physikalische Entstauungstherapie (Manuelle Lymphdrainage, Kompressionstherapie, Übungsbehandlung/Bewegungstherapie und Hautpflege) als Gesamtkonzept erfolgen soll, wobei nicht immer alle Komponenten zeitgleich erforderlich sein müssen.

Was erst einmal sehr positiv klingt, sieht in der Realität leider ganz anders aus. Denn nunmehr werden viele Tausend Lipödem-Patientinnen sich MLD verordnen lassen. dann aber keine Therapeuten finden, die sie behandeln. Denn schon jetzt ist es an vielen Orten Deutschlands schwer, wenn nicht gar unmöglich, Termine für MLD-Behandlungen zu bekommen. Ein Grund dafür ist die schlechte Vergütung für die MLD durch die Krankenkassen, ein anderer der große Mangel an Physiotherapeuten.



Liposuktion als Kassenleistung – das vorprogrammierte Chaos?

Mit großem Theaterdonner hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Januar dieses Jahres angekündigt, den vom Lipödem betroffenen Frauen „schnell und unbürokratisch“ zu helfen. Dabei setzte er sich über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hinweg, der als höchstes Gremium der Selbstverwaltung unseres gesetzlichen Gesundheitssystems bestimmt, welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die Krankenkassen bezahlen dürfen. Angesichts von Spahns Alleingang blieb Prof. Josef Hecken, dem unparteiischen Vorsitzenden des G-BA, nichts anderes übrig, als in einem offenen Brief den Kompromissvorschlag zu machen, für Patientinnen mit einem Lipödem Stadium III ab dem 1. Januar 2020 die Liposuktion zu bezahlen – zunächst befristet bis Ende 2024. Schließlich hat der G-BA am 19. September 2019 beschlossen, dass die Liposuktion bei Lipödem unter bestimmten Bedingungen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Die Einzelheiten sind:
  • Es muss eine gesicherte Diagnose des Lipödems im Stadium III vorliegen.
  • Die neue Regelung kann im Januar 2020 erstmals Anwendung finden.
  • Sie ist zunächst bis zum 31. Dezember 2024 befristet.
  • Die Liposuktion kann sowohl von nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäusern als auch von Vertragsärzten („Kassenärzten“) ambulant oder stationär durchgeführt werden.
  • Vor einer Operation des Lipödems im Stadium III muss über einen Zeitraum von sechs Monaten eine konservative Therapie (z. B. Lymphdrainage, Kompression, Bewegungstherapie) kontinuierlich durchgeführt worden sein. Wenn trotz der konservativen Therapie keine Linderung der Beschwerden eintritt, kann die Durchführung einer Liposuktionsbehandlung verordnet werden.
  • Mehr als 3.000 ml reinen Fettgewebes pro Eingriff dürfen nur dann abgesaugt werden, wenn die postoperative Nachbeobachtung über mindestens 12 Stunden sichergestellt ist. 2Das maximale Fettvolumen, das pro Sitzung entfernt werden kann, beträgt 8% des Körpergewichtes in Litern.
  • Bei Patientinnen mit einem Body Mass Index (BMI, siehe Tabelle) ab 35 kg/m2 findet eine Behandlung der Adipositas statt.
  • Bei einem BMI ab 40 kg/m2 soll keine Liposuktion durchgeführt werden.
  • Die Liposuktion hat als Tumeszenz-Liposuktion unter Verwendung von wasserstrahl-assistierten Systemen oder von Vibrationskanülen zu erfolgen.
  • Eine Liposuktionsbehandlung kann mehrere aufeinanderfolgende Teileingriffe umfassen.
Die Liposuktion bei Lipödem im Stadium III soll insbesondere eine Bewegungseinschränkung beseitigen, um so eine Steigerung der körperlichen Aktivität zu ermöglichen. Zudem wurden Maßnahmen zur Qualitätssicherung definiert. Soweit der G-BA.

Das klingt erst mal recht gut. Doch schaut man etwas näher hin, drängt sich der Verdacht auf, dass die Initiative des Gesundheitsministers eher eine Mogelpackung ist. Denn für sehr viele Frauen mit einem Lipödem Stadium III wird die Liposuktion keine Kassenleistung werden, weil sie einen BMI von 40 oder mehr haben. Wurde ihnen doch von Ärzten Jahre, oft sogar Jahrzehnte lang gesagt, sie sollen abnehmen. Also quälten sie sich von einer Diät zur nächsten und nahmen – der Jojo-Effekt lässt grüßen! – im Lauf der Jahre immer mehr zu. Folglich fiel es ihnen zunehmend schwerer, sich zu bewegen, Gelenkschmerzen und andere Beschwerden taten ihr Übriges und schließlich landete ihr BMI im „roten Bereich“, wo die Liposuktion keine Kassenleistung sein soll.

Die bittere Ironie der Geschichte ist, dass die Liposuktion beim Lipödem Stadium III laut G-BA „insbesondere eine Bewegungseinschränkung beseitigen“ soll, „um so eine Steigerung der körperlichen Aktivität zu ermöglichen“. Dass der G-BA ausgerechnet Frauen mit einem BMI von 40 und darüber von der neuen Regelung ausschließt, ist schlichtweg nicht nachzuvollziehen. Oder meint der G-BA, das diese keine körperlichen Aktivitäten (mehr) brauchen? Natürlich steigen die Risiken einer OP mit zunehmendem Körpergewicht an. Aufgrund des Körpergewichts gehören Patienten mit einem BMI über 40 bei Operationen zur Gruppe mit mittlerem Risiko. Doch die bariatrische Chirurgie (Magen-Bypass etc.) wird selbst – ja vor allem! – bei Patienten mit einem BMI von 50, 60 und mehr routinemäßig durchgeführt.

Ein weiteres Problem ist, dass der BMI beim Lipödem Stadium III nur sehr begrenzt oder gar nicht aussagekräftig ist. Genauso wenig wie etwa bei schwangeren Frauen oder Bodybuildern. In diesen Fällen ist der Waist-to-Hip-Ratio (WHR), das Verhältnis der Umfänge von Taille und Hüfte, wesentlich aussagekräftiger als der BMI. Dass der G-BA nicht den WHR sondern den BMI als Kriterium für oder gegen die Liposuktion festgelegt hat, ist ebenfalls nicht nachzuvollziehen.

Die Rechtsanwältin Ruth Leitenmaier[1] hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass im § 4 Abs. 4 des Beschlusses des G-BA (Bei einem BMI ab 40 kg/m2 soll keine Liposuktion durchgeführt werden.) „soll keine“ steht, was sinngemäß auch „darf aber“ bedeuten kann, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Wenn also eine Patientin Nachweise über eine durchgeführte Adipositas-Behandlung erbringen kann und auch einen Operateur in einem zugelassenen Krankenhaus findet, der auch mit BMI 40 und darüber operiert, könnte es durchaus sein, dass ihre Krankenkasse die Kosten für die Liposuktion übernimmt.

Am 19. September 2019 hat der G-BA beschlossen, dass die Liposuktion beim Lipödem unter bestimmten Bedingungen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Dazu verfasste er auch Vorgaben zur Qualitätssicherung. Die Beschlüsse müssen innerhalb von zwei Monaten vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geprüft werden. Sofern es keine Beanstandungen gibt, werden die Beschlüsse im Bundesanzeiger veröffentlicht und treten am Tag danach in Kraft. Außerdem muss der Bewertungsausschuss den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erstellen. Dieser legt fest, wie viel Geld die Ärzte für die Liposuktion bekommen.

Um zu erfahren, wie genau Lipödem-Patientinnen zu einer Liposuktion auf Kosten ihrer Krankenkasse kommen können, haben wir Anfragen an den G-BA, den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und an die großen Krankenkassen geschickt. Die wenigen (!) Antworten, die wir erhalten haben, gehen sinngemäß in die Richtung, dass vor dem Inkrafttreten der Beschlüsse keine verbindlichen Informationen gegeben werden können. Die Barmer teilte uns mit, dass „unsere Experten zu diesem Thema mangels zeitlicher Ressourcen Ihre Fragen nicht beantworten können“.

Wahrscheinlich müssen sich Frauen mit einem Lipödem – wie bei anderen Erkrankungen auch – bei einem Vertragsarzt („Kassenarzt“) vorstellen. Stellt dieser die Diagnose „Lipödem Stadium III“, kann er vermutlich eine Überweisung zu einem Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie oder einen anderen operativ tätigen Facharzt bzw. zu einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus ausstellen.

Die Liposuktion dürfen gemäß G-BA-Qualitätsvorgaben nur Ärzte durchführen, die „Liposuktion bei Lipödem in 50 oder mehr Fällen bereits vor Inkrafttreten dieses Beschlusses“ selbständig durchgeführt haben, bzw. die „Liposuktion bei Lipödem in 20 oder mehr Fällen innerhalb von zwei Jahren unter Anleitung eines bereits erfahrenen Anwenders (der „die Liposuktion beim Lipödem in 50 oder mehr Fällen selbstständig durchgeführt“ hat) praktiziert haben.

Und hier haben wir schon das erste Problem: Wie kann die Patientin Ärzte bzw. Krankenhäuser ausfindig machen, die die G-BA-Vorgaben zur Qualitätssicherung erfüllen? Werden da entsprechende Listen veröffentlicht? Und falls ja: wo? Es gibt zwar ein paar Tausend Fachärzte für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie und andere operativ tätigen Fachärzte, doch nur ein ganz geringer Teil davon ist in der Lage, die Liposuktion beim Lipödem fachgerecht durchzuführen. Gleiches gilt für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser.

Und weiter: Was ist mit Patientinnen mit Lipödem Stadium III, bei denen eine Behandlung der Adipositas stattgefunden hat, der BMI aber immer noch über 35 liegt? Und was mit Patientinnen mit Lipödem Stadium III, bei denen eine Behandlung der Adipositas stattgefunden hat, der BMI aber immer noch über 40 liegt, die aber einen Operateur in einem zugelassenen Krankenhaus gefunden haben, der auch mit BMI 40 und darüber operiert?

Ein ganz gravierendes Problem betrifft die Verordnung von Manueller Lymphdrainage (MLD) beim Lipödem. Hinterlässt ein Fingerdruck auf das Lipödem keine Delle, liegt kein Ödem vor. Dann kann der Arzt keine MLD verordnen. Lässt sich eine Delle eindrücken, darf der Arzt Rezepte für bis zu 30 MLD-Anwendungen ausstellen. Die reichen meist jedoch nicht für eine konservative Therapie über sechs Monate, wie sie als Voraussetzung für die Liposuktion als Kassenleistung gefordert wird. Dann ist der Regelfall beendet, und es muss eine 12-wöchige Verschreibungspause eingehalten werden. Der Arzt kann zwar eine Verordnung außerhalb des Regelfalls beantragen, wenn das Therapieziel innerhalb des Regelfalls nicht erreicht werden konnte. Doch das machen die meisten Vertragsärzte („Kassenärzte“) aus Furcht vor Regressforderungen nicht. Folglich können viele Patientinnen mit Lipödem Stadium III die Bedingung, sechs Monate lang eine konservative Therapie kontinuierlich durchzuführen, nicht erfüllen.

Fazit: Nur ganz wenige betroffene Frauen werden in den Genuss von Gesundheitsminister Spahns großspurigen Versprechen kommen, die Liposuktion beim Lipödem Stadium III als Kassenleistung zu erhalten. Der weitaus größte Teil wird an den vom G-BA erlassenen Kriterien scheitern. Vielleicht wollte der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Prof. Josef Hecken, dem Gesundheitsminister damit in die Parade fahren, weil der mit seiner Androhung, sich per Erlass über den G-BA hinwegzusetzen, an den Grundfesten unseres Gesundheitssystems gerüttelt hat? Auszubaden haben derartige Machtspielchen letztendlich aber die Patientinnen.

Wir werden Sie über den Fortgang zeitnah auf dem Laufenden halten. Besuchen Sie darum das Lipödemportal regelmäßig.

[1] Frau Leitenmaier leitet eine Kanzlei für Sozialrecht, Medizinrecht, Steuerrecht, Seniorenrecht und Erbrecht (www.kanzlei-leitenmaier.de). Ihre besonderen Schwerpunkte sind Lipödem (Liposuktion, Hilfsmittel, Grad der Behinderung und Erwerbsminderungsrente) sowie Adipositas (bariatrische OPs, Wiederherstellungs-OPs, Grad der Behinderung).
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Liposuktion bei Lipödem wird Kassenleistung

Am Donnerstag, 19. September 2019, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Berlin beschlossen, dass die Liposuktion bei Lipödem unter bestimmten Bedingungen von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Die Einzelheiten sind:
  • Es muss eine gesicherte Diagnose des Lipödems im Stadium III vorliegen.
  • Die neue Regelung kann im Januar 2020 erstmals Anwendung finden.
  • Sie ist zunächst bis zum 31. Dezember 2024 befristet.
  • Die Liposuktion kann sowohl von nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäusern als auch von Vertragsärzten ("Kassenärzten") ambulant oder stationär durchgeführt werden.
  • Vor einer Operation des Lipödems im Stadium III muss über einen Zeitraum von sechs Monaten eine konservative Therapie (z. B. Lymphdrainage, Kompression, Bewegungstherapie) kontinuierlich durchgeführt worden sein. Wenn trotz der konservativen Therapie keine Linderung der Beschwerden eintritt, kann die Durchführung einer Liposuktionsbehandlung verordnet werden.
  • Bei Patientinnen mit einem Body Mass Index (BMI) ab 35 kg/m2 findet eine Behandlung der Adipositas statt.
  • Bei einem BMI ab 40 kg/m2 soll keine Liposuktion durchgeführt werden.
  • Die Liposuktion hat als Tumeszenz-Liposuktion unter Verwendung von wasserstrahl-assistierten Systemen oder von Vibrationskanülen zu erfolgen.
  • Eine Liposuktionsbehandlung kann mehrere aufeinanderfolgende Teileingriffe umfassen.
Die Liposuktion bei Lipödem im Stadium III soll insbesondere eine Bewegungseinschränkung beseitigen, um so eine Steigerung der körperlichen Aktivität zu ermöglichen.

Zudem wurden Maßnahmen zur Qualitätssicherung definiert. Die Dokumente des G-BA finden Sie hier:
Pressemitteilung
Richtlinie Vertragsärzte ("Kassenärzte")
Richtlinie Krankenhäuser
Maßnahmen zur Qualitätssicherung

Die Beschlüsse müssen noch vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geprüft werden und treten am Tag nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Da die Initiative, die Liposuktion bei Lipödem zur Kassenleistung zu machen, vom Gesundheitsminister Jens Spahn ausging, kann man davon ausgehen, dass die Regelungen im Januar 2020 erstmals Anwendung finden können.

Die Erprobungsstudie (siehe nächsten Artikel) zu Vor- und Nachteilen einer Liposuktion läuft parallel weiter.


Presseerklärung von Lipödem-Fakten zur Liposuktion als Kassenleistung bei Stadium III Jens Spahn: Blinder Aktionismus, der Millionen kranke Frauen mit Blick auf die Kanzlerkandidatur instrumentalisiert, oder ein Bundesgesundheitsminister, der Wort hält?



Erprobungsstudie zur Liposuktion beim Lipödem

In einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Auftrag gegebene Erprobungsstudie soll ermittelt werden, welchen Nutzen die Liposuktion beim Lipödem im Vergleich zur rein konservativen Behandlung (Manuelle Lymphdrainage, Kompressionstherapie etc.) hat. Zudem sollen Erkenntnisse zu den Risiken und möglichen Komplikationen der Methode gewonnen werden. An der Studie können 405 Frauen mit einem Lipödem der Beine im Stadium I, II oder III kostenlos teilnehmen. Voraussetzung ist, dass sie das 18. Lebensjahr vollendet haben, und ihre Beschwerden durch eine konservative Behandlung nicht ausreichend gelindert werden können.

Ausschlussgründe sind eine allgemeine Adipositas, andere Erkrankungen, die Ödeme verursachen können, Fettverteilungsstörungen anderer Ursache sowie die Ablehnung der Patientin, konservativ behandelt zu werden. Die weiteren Ein- und Ausschlusskriterien wie Vor- oder Begleiterkrankungen werden vom Zentrum für Klinische Studien (ZKS) der Universität Köln und der Hautklinik des Klinikums Darmstadt festgelegt. Diese beiden Institutionen sollen die Erprobungsstudie zur Liposuktion beim Lipödem wissenschaftlich begleiten und die Ergebnisse auswerten.

Die Studie sieht maximal vier operative Eingriffe vor, die deutschlandweit in bis zu 14 Zentren vorgenommen werden. Frauen, die an der Studie teilnehmen möchten, können vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2019 auf www.erprobung-liposuktion.de Informationen zur Studie erhalten und ihr Interesse an einer Teilnahme anmelden. Die Webseite wird vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) betrieben.

Sollten mehr Interessentinnen als Studienplätze vorhanden sein, wird ein Losverfahren durchgeführt. Die so ermittelten Frauen werden dann von dem ihrem Wohnort am nächsten liegende Studienzentrum zu einem Untersuchungstermin eingeladen. Der G-BA geht davon aus, dass die ersten Patientinnen voraussichtlich zu Beginn des nächsten Jahres in die Studie aufgenommen werden können. Die Richtlinie des G-BA zur Erprobungsstudie können auf www.g-ba.de/beschluesse/3202 eingesehen werden.

Diese Nachricht wird sicher viele Frauen, die an einem Lipödem leiden, hoffen lassen, dass die Liposuktion beim Lipödem in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wird. Doch vorerst müssen sie sich noch in Geduld üben! Privatdozent Dr. Maurizio Podda, Direktor der Hautklinik des Klinikums Darmstadt und Leiter der Erprobungsstudie, stellt klar: „Wir rechnen mit einer Rekrutierungsphase von etwa einem halben Jahr, die Dauer der Run-in-Phase und der Nachbeobachtungszeit pro Patientin beträgt insgesamt 43 bis 48 Monate, damit beträgt die gesamte Studiendauer 63 Monate, bis wir tragfähige Erkenntnisse gewinnen. In den nächsten Jahren werden wir also deutlich mehr über die Bedeutung der Fettabsaugung beim Lipödem wissen.“

Folglich ist nicht vor 2026, vermutlich sogar noch wesentlich später mit einer Entscheidung zu rechnen. Und dann ist ja auch noch völlig offen, zu welchem Ergebnis die Studie letztendlich kommen wird.



Liposuktion soll Kassenleistung werden

Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Am 10. Januar 2019 kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, die Fettabsaugung (Liposuktion) beim Lipödem in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufnehmen zu wollen. „Bis zu drei Millionen Frauen mit krankhaften Fettverteilungsstörungen leiden täglich darunter, dass die Krankenkassen ihre Therapie nach einem Gerichtsurteil nicht bezahlen“, sagte Spahn der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Ihnen wollen wir schnell und unbürokratisch helfen.“ Die Kassen weigerten sich, die Liposuktion zu bezahlen, weil „der Nutzen noch nicht hinreichend belegt“ sei, so Spahn.

Das bedarf einer Erläuterung: Bisher entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) darüber, welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) aufgenommen werden. Jetzt will Spahn sein Ministerium ermächtigen, über den G-BA hinweg und ohne Zustimmung des Bundesrates darüber zu entscheiden, was die Krankenkassen bezahlen müssen. Der Aufschrei war groß und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), CSU, SPD, GKV-Spitzenverband und G-BA warnten vor einem Systembruch in unserem Gesundheitswesen. Nur von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und den Grünen kam Zustimmung.

Wie konnte es soweit kommen, dass sich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) derart massiv mit dem G-BA anlegt, dem höchsten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens? Das könnte zum einen mit der Frage nach der verfassungsrechtlichen Legitimation des 2004 gegründeten G-BA zusammenhängen. Denn hier sind Zweifel durchaus angebracht. Von verschiedenen Seiten wird dem G-BA vorgeworfen, ein Instrument von Krankenkassen und Politik zu sein, um die Leistungen der Krankenkassen zu Lasten der Patienten zu „rationieren“.

Patientenvertreter berichteten von einem rüden Umgangston und von persönlichen Angriffen des G-BA ihnen gegenüber. Auch Ärzte, die im Rahmen der Entscheidungsfindung bezüglich des Nutzens der Liposuktion beim Lipödem angehört wurden, fühlten sich einer ähnlichen Behandlung ausgesetzt. Der G-BA tagt nur teilweise öffentlich und es ist nicht immer nachzuvollziehen, wer sich hinter den Entscheidungen verbirgt. Aus „demokratischer Sicht ist das schwierig“, sagte der Berliner Politikberater Albrecht Kloepfer gegenüber der Zeitung „Die Welt“ und fordert mehr Transparenz bei den Entscheidungen des G-BA ein.

Von einer gut unterrichteten Quelle aus Justizkreisen haben wir erfahren, dass zwischen dem BMG und dem Bundessozialgericht (BSG) in Kassel traditionell ein gespanntes Verhältnis besteht. Darum könnte es sehr gut sein, dass die Liposuktions-Initiative des Gesundheitsministers auch eine Reaktion auf das vernichtende Urteil des BSG zur Liposuktion vom 24. April 2018 ist (siehe unten). Demnach haben gesetzlich Versicherte keinen Anspruch auf Versorgung mit einer stationär durchgeführten Liposuktion, da diese nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots entspricht. Und ambulante Liposuktionen mussten die Krankenkassen sowieso nicht bezahlen, weil der G-BA dafür keine Empfehlung ausgesprochen hat.

Für die betroffenen Frauen – insbesondere die mit einem Lipödem Stadium 3 – kommt dieses BSG-Urteil einer wahren Katastrophe gleich. Denn vor dem 24. April 2018 konnten die Krankenkassen in einer Einzelfall-Entscheidung die Kosten für die Liposuktion beim Lipödem durchaus übernehmen. Das kam zwar nicht sehr oft vor, doch in schweren Fällen verhielten sich die Kassen sehr wohl einsichtig. Und diese Möglichkeit hat das BSG mit seinem Urteil zunichtegemacht. Aus diesem Grund muss man Minister Spahns Vorstoß begrüßen.

Zurück zum G-BA: Wenn dieser sich weigert, darüber nachzudenken, ob die Liposuktion beim Lipödem eine Behandlungsalternative zur konservativen Therapie sein könnte, kann ihn niemand dazu zwingen. Und tatsächlich hat er diese Fragestellung sehr viele Jahre vor sich hergeschoben. Erst 2014, als der Druck vonseiten der betroffenen Frauen immer größer wurde, sah er sich gezwungen, einem Antrag der Patientenvertretung auf „Prüfung der Methode Liposuktion bei Lipödem nach § 135 und § 137c SGB V“ anzunehmen. Doch dann dauerte es bis 2017 nochmal gut drei Jahre, bis er das Bewertungsverfahren aussetzte und eine „Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem“ beschloss. In einer Studie zur Erprobung der Liposuktion bei Lipödem „soll die Frage beantwortet werden, welchen Nutzen die Liposuktion bei Lipödem im Vergleich zu einer alleinigen konservativen, also nichtoperativen Behandlung hat. Zudem sollen in der Studie weitere Erkenntnisse zu den Risiken und möglichen Komplikationen der Methode gewonnen werden.“ (so der G-BA). In Wirklichkeit hat er damit die Entscheidung, ob die Liposuktion beim Lipödem in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen wird, praktisch auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Angesichts dieser Hinhalte-Praktiken des G-BA ist es durchaus verständlich, dass sich das BMG die Möglichkeit offenhalten will, Methoden in die Gesundheitsversorgung aufzunehmen, für die die Selbstverwaltung keine Regelung getroffen hat, oder für die sie „die Anerkennung eines diagnostischen oder therapeutischen Nutzens bisher abgelehnt hat“. Denn für eine neue Methode kann eine Erstattung durch die Krankenkassen durchaus in Betracht kommen, wenn es dafür keine zumutbare Alternativbehandlung gibt. Und das selbst dann, wenn für die neue Methoden kaum wissenschaftliche Belege vorliegen. Das gilt nicht nur für die Liposuktion beim Lipödem!

Inzwischen ist das Gezeter des G-BA verstummt, dass die Initiative Spahns einen „Schritt zurück ins medizinische Mittelalter“ (so der G-BA-Chef Prof. Josef Hecken wörtlich) gleichkommt. Per Brief schlägt der G-BA jetzt dem Gesundheitsminister vor, die Liposuktion beim Lipödem in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen. Zudem schlägt Prof. Hecken vor, dass der G-BA in einer Richtlinie die Qualitätsanforderungen an die Leistungserbringer (Ärzte) definiert. Jeder Eingriff muss durch den Operateur nach sechs Wochen und nach zwölf Monaten nach standardisierten Vorgaben dokumentiert werden. Hecken betonte, es sei in erster Linie das Ziel, eine Datenerfassung zu Risiken und unerwünschten Ereignissen zu gewährleisten.

Lipödem im Stadium III
Lipödem Stadium III
Bildquelle:
Prof. Wilfried Schmeller, www.hanse-klinik.de
Somit kann man davon ausgehen, dass dieser Eingriff ab Januar 2020 erstattet wird. Die Regelung soll aber nur für die Frauen mit einem Lipödem Stadium 3 gelten, und auch das nur befristet bis 2024. Das Lipödem Stadium 3 (siehe Abbildung rechts) ist gekennzeichnet durch:
  • ausgeprägte Umfangsvermehrung, Unterhautgewebe stark verdickt und verhärtet,
  • grobe, deformierende Fettlappen (Wammenbildung) an den Innenseiten der Oberschenkel und der Kniegelenke (Scheuer-Wunden!),
  • teilweise über die Knöchel herunterhängende Fettwülste,
  • X-Beinstellung (dauerhaft hohe Fehlbelastung der Gelenke!).
Unabhängig von der neuen Regelung soll die geplante Studie durchgeführt werden, mit der der therapeutische Nutzen der Liposuktion beim Lipödem festgestellt werden soll. Diese soll im zweiten Halbjahr 2020 beginnen und bis 2024 laufen. Anhand der Ergebnisse dieser Studie will der G-BA prüfen, ob die Liposuktion auch für Frauen mit Lipödem Stadium 1 und 2 Kassenleistung wird.

Ist jetzt alles gut?

Auf den ersten Blick sieht die neue Situation recht rosig aus. Doch wenn man die Dinge genauer betrachtet, mischen sich Zweifel in die anfängliche Euphorie. Denn wer soll die Liposuktion beim Lipödem durchführen, wenn diese zur Kassenleistung wird? Fettabsaugungen bieten viele Ärzte an. Im Jahr 2017 wurden von „Schönheitschirurgen“ deutschlandweit rund 45.871 Fettabsaugungen durchgeführt. Auf diesem Gebiet tummeln sich Ärzte vieler Fachrichtungen: Allgemeinchirurgen, Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen, Plastische Chirurgen, Hautärzte, Frauenärzte, HNO-Ärzte, Allgemeinmediziner und manche mehr.

Wir möchten diesen Medizinern die Kompetenz auf ihrem Gebiet keinesfalls absprechen. Doch für eine erfolgreiche Behandlung des Lipödems – die operative ebenso wie die konservative – ist eine solide Kenntnis der Anatomie des Lymphgefäßsystems unabdingbar. Und über diese verfügen tatsächlich nur relativ wenige Ärzte. Das kommt vor allem daher, weil im Medizinstudium über das Lymphsystem kaum etwas gelehrt wird. Zwar lernen die Studenten, dass darin die Immunisierung nach einer Impfung stattfindet. Doch über das Lymphgefäßsystem als Organ der Zirkulation hören sie kaum etwas.

Viele „Schönheitschirurgen“ können Fett mit kosmetisch gutem Ergebnis absaugen. Dafür bedienen sie sich der Criss-cross-Technik, bei der sie die Absaugkanüle kreuz und quer durch die abzusaugende Zone führen, um ein möglichst gleichmäßiges Ergebnis zu erzielen. Doch diese Methode eignet sich nicht für die Absaugung des Lipödems an den Beinen und Armen. Hier muss die Kanüle unbedingt parallel zu den Lymphgefäßen („achsengerecht“) geführt werden. Anderenfalls wäre die Gefahr zu groß, Lymphbahnen zu verletzen. Diese tolerieren zwar eine Zugbelastung in Längsrichtung, eine Krafteinwirkung (Scherkräfte) von der Seite her dagegen nicht. Falls bei der Absaugung Lymphgefäße verletzt werden, kann infolge davon ein sekundäres chronisches Lymphödem entstehen. Und damit hat man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben!

„Schönheitschirurgen“, selbst wenn sie den geschützten Titel „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ tragen, „ticken ganz anders“ als Operateure, die sich auf die Liposuktion beim Lipödem spezialisiert haben. So schreibt die „Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland e.V.“ (GÄCD) in ihren Leitlinien zur Liposuktion zwar vor, dass Ärzte, die Fettabsaugungen durchführen, „über eine angemessene Ausbildung und Erfahrung auf dem Gebiet der Liposuktion verfügen“ müssen. Auch dass sie eine „abgeschlossene chirurgische Ausbildung im Bereich der allgemeinen Chirurgie, der MKG, HNO, Gynäkologie oder Dermatologie“ haben müssen. Doch die Begriffe „Lymphe“, „Lymphgefäß“ etc. sucht man darin ebenso vergebens, wie die Notwendigkeit einer präoperativen und postoperativen physikalischen Entstauungstherapie (Manuelle Lymphdrainage etc.).

Und dann wird bei der kosmetischen Liposuktion ja nicht bloß Fettgewebe entfernt, sondern die Körperform modelliert. Pierre-Francois Fournier, der große Pionier der Liposuktion, sagte, dass eine gute Liposuktion nicht durch das bestimmt wird, was herausgesaugt wird, sondern durch das was zurückbleibt („what you take is not as important as what you leave behind”). Er meinte damit die „Liposkulptur“, die möglichst schöne Modellierung des Körpers.

Doch bei der Liposuktion zur Behandlung des Lipödems muss das krankhafte Fettgewebe möglichst vollständig entfernt werden, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. Denn verbliebenes Lipödem-Fettgewebe könnte zu einer örtlichen Schmerzhaftigkeit führen. Allenfalls kann ein gewisses Minimum an Fettgewebe verbleiben, etwa zum Schutz von Knochenhaut an bestimmten Stellen oder um kein skelettartiges Aussehen entstehen zu lassen. Die Erfahrung zeigt, dass eine sehr geringe Menge des Lipödem-Fettgewebes toleriert werden kann, da dieses sich in nur kaum nennenswerten Maß vermehrt.

Spezialisten für die lymph-schonende Liposuktion beim Lipödem finden Sie hier.

Ein anderer Grund zur Sorge ist, dass die Krankenkassen die Vergütung der Ärzte für die Liposuktion deckeln werden, wenn diese Kassenleistung wird. Denn die Deckelung der Vergütungen von ärztlichen Leistungen ist einer der Lieblingssportarten der Krankenkassen! Folglich ist davon auszugehen, dass die relativ wenigen Spezialisten für die Liposuktion des Lipödems, sich weigern werden, Patientinnen zum „Kassentarif“ zu behandeln. Dann haben die betroffenen Frauen die Qual der Wahl, entweder die Liposuktion – wie schon jetzt – von einem Spezialisten für viel Geld aus eigener Tasche durchführen zu lassen, oder von einem Kassenarzt mit ungewisser einschlägiger Kompetenz… und somit ungewissen Folgen ausgesetzt zu sein.

Zu begrüßen an der Initiative von Gesundheitsminister Spahn ist ganz zweifelsohne, dass endlich Bewegung in der Thematik „Liposuktion beim Lipödem“ gekommen ist. Wir werden die Entwicklung sorgfältig und kritisch verfolgen und Sie, liebe Leserinnen und Leser, darüber informieren.



Vernichtender Richterspruch zur Liposuktion

Am 24. April 2018 hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel unter den Aktenzeichen B 1 KR 13/16 R und B 1 KR 10/17 R folgendes entschieden: Gesetzliche Versicherte haben keinen Anspruch auf Versorgung mit einer stationär durchgeführten Liposuktion, da diese nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots entspricht. Nach Wortlaut und Regelungssystem senkt, so das BSG, auch die Norm des § 137c Abs. 3 SGB V die Qualitätsanforderungen für den Anspruch auf stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential einer erfolgreichen Behandlungsalternative nicht.

Anmerkung: Die ambulante Liposuktion ist ohnehin keine Leistung der GKV, da es hierzu an einem positiven Votum des Geneinsamen Bundesausschusses fehlt (sog. „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“).

Diese Mitteilung, die der uns beratende Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht Diplom-Jurist Tim C. Werner, Frankfurt am Main (www.lipoedem-anwalt.de), mitgeteilt hat, kommt für die meisten Lipödem-Patientinnen einer veritablen Katastrophe gleich. Denn seit den BSG-Entscheidungen vom 24. April 2018 sind sämtliche derzeit anhängigen Widerspruchs- oder Klageverfahren wegen Liposuktion (Sachleistungsanspruch oder Erstattungsanspruch), bei denen keine Genehmigungsfiktion (siehe unten) eingetreten ist, zum Scheitern verurteilt.

Selbst Klagen auf eine Kostenübernahme in einer Einzelfallentscheidung, etwa zur Abwendung einer Gonarthrose (übermäßiger Verschleiß des Kniegelenks) aufgrund der Lipödem-bedingten Fehlstellung der Beinachsen (und dem damit verbundenen Risiko des Einsatzes eines künstlichen Kniegelenks!), haben nunmehr keinerlei Aussicht auf Erfolg.

Genehmigungsfiktion
Mit dem 2013 in Kraft getretene „Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten“ – kurz „Patientenrechtegesetz“ – und der Vorschrift des § 13 Absatz 3a SGB V (Fünftes Sozialgesetzbuch) sind gesetzliche Krankenkasse verpflichtet, über Anträge auf Leistungen (etwa eine Liposuktion) zügig zu entscheiden. Das heißt konkret: Spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragstellung oder innerhalb von fünf Wochen, wenn eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) erforderlich ist.

Kann die Krankenkasse die Frist nicht einhalten, muss sie den Antragsteller darüber unter Angabe von Gründen zu informieren. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt – daher der Begriff „Genehmigungsfiktion“ – und die Krankenkasse muss die Leistungen (z.B. die Liposuktion) bezahlen. Wichtig: Sie ist selbst dann zur Erstattung der Kosten verpflichtet, wenn sich der Versicherte nach Ablauf der Frist die Leistung selbst verschafft und der Kasse anschließend die Rechnung dafür vorlegt!

Besonders zu betonen dabei ist, dass es nicht darauf ankommt, ob die beantragte Leistung medizinisch notwendig ist oder nicht. Die Rechtsprechung ist hier ganz deutlich: „Durch die Fiktion der Genehmigung ist die Leistungsberechtigung des Klägers wirksam verfügt und die Beklagte mit allen Einwendungen, einschließlich der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit und ob es erforderlich im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist ausgeschlossen (LSG NRW Beschluss v. 23.05.2014 - L 5 KR 222/14 B ER).“ (Den Satz muss man vielleicht ein paarmal lesen.) Denn der Sinn des Patientenrechtegesetzes war, die Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens zu verbessern. Dieses Ziel würde ins Leere laufen, wenn die Genehmigungsfiktion durch eine nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder erlöschen würde.

Allerdings macht die Rechtsprechung hier zwei Einschränkungen:
1. Es muss sich um eine Leistung handeln, die der Versicherte für erforderlich halten darf.
2. Eine Leistung gilt nur dann als genehmigt, wenn sie nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen liegt.

Als Beispiele für Punkt 2 nennt das Sozialgericht Detmold etwa einen Erholungsurlaub auf Mallorca oder die Versorgung mit Heroin. In Bezug auf Punkt 1 dürfte es hingegen eher schwierig sein zu definieren, was Versicherte für erforderlich halten dürfen.

Was Sie tun sollten, wenn Ihre Krankenkasse die Frist nicht einhält
Wenn Ihre Krankenkasse – was immerhin doch öfters mal vorkommt – Ihren Antrag nicht fristgerecht bearbeitet, bzw. Ihnen innerhalb der Frist keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes macht, sollten Sie in jedem Fall einen Fachanwalt für Sozialrecht aufsuchen. Denn Krankenkassen bedienen sich häufig fieser Tricks, um sich aus der Verantwortung herauszuwinden. Und dann gibt es zahlreiche Vorschriften und Regelungen, die unbedingt zu beachten sind, doch die Laien nicht kennen.

Wir haben oben den Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht, Diplom-Jurist Tim C. Werner, www.lipoedem-anwalt.de, genannt. Doch Sie können natürlich auch im Internet fündig werden (z.B. „Anwalt suchen“ eingeben) oder bei der Bundesrechtsanwaltskammer www.brak.de.



18. Januar 2018 – Gemeinsamer Bundesausschuss (G BA) hat die Eckpunkte für die Studie zur Erprobung der Liposuktion bei Lipödem beschlossen
Die Pressemitteilung des G-BA finden Sie hier: www.g-ba.de

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